Kirsten Kötter

Spektral-Weiß

Spektral-Weiß. Die Erscheinung kolonialzeitlicher Europäer*innen, HKW – Haus der Kulturen der Welt, Berlin,

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Nichts ist so wie es auf den ersten Blick scheint. Auch Weiß vereint in sich die Farben des Regenbogens. Denn die hier ausgestellten Skulpturen und Objekte, die Zeichnungen, sind nicht einfach so Zeugnisse eines fernen Kontinents, der abgeschieden und rein aus seiner Kultur und Tradition schöpfen kann. Der weiße Mann und die weiße Frau haben bereits stark in das Leben dort eingegriffen und das meist nicht positiv. Die "Schreckfigur" ist dafür ein gutes Beispiel. Die aus Holz geschnitzte "Schreckfigur" in Gestalt eines englischen Kolonialsoldaten aus den nikobarischen Inseln im indischen Ozean wählte Julius Lips 1937 für das Titelbild seines Buches "The Savage Hits Back"; wahrscheinlich auch weil ein Arm der Figur wie zum Hitlergruß gehoben ist. Und: Wurde die "Schreckfigur" für den eigenen schwarzen Markt produziert oder für den weißen Mann? Das lässt sich nicht mehr ergründen. In der Ausstellung geht es um ein Spiegelkabinett der Blicke: Da ist ein afrikanischer Künstler oder eine afrikanische Künstlerin. Sie kennen ihre traditionelle Kultur. Aber ihr Leben ist nicht mehr traditionell. Sie werden von Weißen regiert. Sie schauen sich diese Weißen an, die so anders sind. Da sind zwei geschnitzte Holzsklupturen eines Künstlers aus Zentral- oder Westafrika, die vermutlich Porträts konkreter Personen sind. Möglicherweise gab es einen Künstler oder eine Werkstatt, die solche und ähnliche Figuren für den Verkauf an europäische Menschen herstellten. Die Skulpturen zeigen vielleicht den belgischen König Albert I. und eine strenge Lehrerin – so deutete es Lips. Wie auch immer: die Skulpturen zeigen Weiße, keine Schwarzen, und zeigen die Figuren in einer so steifen Körperhaltung – sie sind so stark nach hinten gelehnt –, dass man meint, sie würden nach hinten umkippen. Wir sehen also den historischen Blick eines Afrikaners auf unser historisches Ich. Und wir sehen nicht das sogenannte Authentische, nachdem wir bei unserer Beschäftigung mit für uns exotischer Kunst suchen, sondern wir sehen etwas, was die neuen Einflüsse verarbeitet. Es ist lustig, diese Skulpturen zu sehen. Das Leben in Afrika war durch die weiße Macht und Gewalt ja sehr oft alles andere als lustig. Hier kommt etwas zu uns zurück, was lange in den Depots der Museen versteckt wurde, weil man solche Skulpturen lange nicht ausstellen wollte, wie Nanette Snoep ausführt. Hier erleben wir unsere Vorgeschichte, als blickten wir in einen algigen See und erhaschten nur unser verschwommenes unklares Spiegelbild. Aber das in sehr bunt gefassten Holzfiguren.

Diese neue Ausstellung des HKW setzt eine Ausstellungsreihe fort, die sich mit "Kanonfragen" auseinandersetzt und begonnen wurde, führt HKW-Kurator Anselm Franke zu Anfang seiner Einführung aus. Auch hier ‐ genau wie bei der vor kurzem eröffneten Ausstellung "Liebe und Ethnologie" geht es um deutsche historische Persönlichkeiten, die sich selbst vom Mainstream ausklinken und einen eigenen Weg mit dem Versuch eines kosmopolitischeren, einheitsweltlichen Blicks jenseits des kononialen Blicks gehen. Bei dieser Ausstellung ist das der Kölner Ethnologe Julius Lips (1894–1950), der in einem Zweitstudium Ethnologie studierte, an der Universität Köln Professor wurde und schließlich Direktor des Museums für Völkerkunde in Köln (heute Rautenstrauch-Joest-Museum).

Lips verweigerte sich den Nationalsozialisten und bat um Beurlaubung, wurde entlassen, bekam keine Bezüge mehr, und seine Pensionsansprüche sowie die Lehrerlaubnis wurden entzogen. Auch wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt und sein Vermögen beschlagnahmt. Er emigrierte nach Paris und in die USA. 1937 veröffentlichte er dort "The Savage Hits Back" – ein Buch, "in dem er die Außenwahrnehmung europäischer Kultur in explizit antirassistischer Absicht thematisierte" (HKW) und das auch als Boxhieb von ihm persönlich gegen die Nazis gedacht war.

Objekte seiner Sammlung und Objekte aus Privatsammlungen sind in der neuen Ausstellung des HKW zu sehen. Lips Sammlung wird heute im Rautenstrauch-Joest-Museums aufbewahrt, dem Nachfolger des Museums an dem Lips Direktor war. Das Rautenstrauch-Joest-Museum hat gerade eine neue Direktorin bekommen: die Holländerin Nanette Jacomijn Snoep, die zuvor in Paris und Dresden in ethnologischen Museen arbeitete bzw. diese leitete. Objekte, wie sie in der HKW-Ausstellung zu sehen sind, werden normalerweise so gut wie nie ausgestellt. Sie gelten als nicht authentisch, als nicht ursprünglich genug. Jetzt begegnet Snoep ihren eigenen Sammlungsstücken. Kuratiert hat die Ausstellung Anna Brus in Zusammenarbeit mit Anselm Franke. Anna Brus arbeite im Kunsthistorischen Institut der Universität Köln mit einem Forschungsprojekt über Julius Lips und seine Sammlung. hält ebenfalls eine Rede und macht eine kurze Führung durch die Ausstellung und zeigt die oben beschriebenen Figuren.

hentakoi, von einem Künstler auf den nikobarischen Inseln im Indischen Ozean aus Holz geschnitzt, in der Funktion einer Schreckfigur in Gestalt eines englischen Kolonialsoldaten, 1909 durch das Rautenstrauch-Joest-Musuem Köln von dem Hamburger Händler J.F.G. Umlauf gekauft (Foto: KK)
"hentakoi", von einem Künstler auf den nikobarischen Inseln im Indischen Ozean aus Holz geschnitzt, in der Funktion einer "Schreckfigur" in Gestalt eines englischen Kolonialsoldaten, 1909 durch das Rautenstrauch-Joest-Musuem Köln von dem Hamburger Händler J.F.G. Umlauf gekauft (Foto: KK)
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Konzert in Installation

Afro-Sonic Mapping. Tracing Aural Histories Via Sonic Transmigrations

Installation von Künstler und Musiker Satch Hoyt, der Tondokumente aus Angola und dem Kongo (von europäischen Antrhopolog*innen zwischen 1890 und 1907 aufgenommen), die er bildlich umsetzte. Satch Hoyt lebt in Berlin.
Konzert Prozession, Sound-performance mit Fuasi Abdul-Khaliq, Dankel "El Congo" Allen, Geoffroy de Masure, Stéphane Gaultier, Regis "Kin Re" Molina, Lulendo M#paxa, Suyá Nascimento, Christina Wheeler und Satch Hoyt
kuratiert von Paz Guevara

Musikalisch ist das Konzert insofern "Weltmusik" als es so von allen möglichen Musikern egal welcher Hautfarbe oder Nationalität aufgeführt werden könnte, was die musikalische improvisierte Sprache betrifft – eine gewaltige Leistung mit vielen Musikern, die für die musikalische Geschichte dirigiert werden.

Kirsten Kötter,

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